Lützelflüh, das sehr alte Dorf auf den "lützeln", d.h. kleinen Flühen, ist alemannischen Ursprungs. Althochdeutsch liest es sich "luzzli", mittelhochdeutsch "lützel", 1125, erstmals urkundlich erwähnt, "Lucelfluo".
Aber wahrscheinlich siedelten schon die Kelten, resp. Helvetier, in der Zeit vor bis unmittelbar nach Christi Geburt in der Gegend. Sie hatten das Emmental weitgehend kultiviert, trieben auf den Höhen sogar Alpwirtschaft und wuschen in der Illfis (keltisch "Elvissa", d.h. die Blonde, Falbe) und Emme (keltisch "ambis" = Fluss) Gold.
Auch römische Legionäre und Reisende zogen vermutlich durch unser Gebiet; soll sich doch in römischer Zeit (ca. 15 vor Chr. bis 500 nach Chr.) eine Strasse von Biglen über Lützelflüh ins Unteremmental erstreckt haben, wovon die "Steingasse" in Goldbach mit ihrem gepflasterten Steinbett im Untergrund als Zeuge gilt.
Das Oberemmental war längst wieder Wildnis und Wüstenei geworden, als vom Norden her die Germanenflut heranbrandete. Die Völkerwanderung hatte begonnen. Vermutliche Zeugen aus dieser Zeit: Die Jegerlehnburg im Thalgraben und der Münnenberg bei Grünenmatt, Reste imposanter Erdwerke, die als Erd- oder Fliehburgen Gruppen kelto-romanischer Bevölkerung Schutz vor Feinden boten.
Im Emmental siedelte der Germanenstamm der Alemannen (=allerlei Männer). Das flache Unteremmental wurde naturgemäss früher besiedelt als das wilde Oberemmental. Aber auch hier begann der Kampf mit der Wildnis nicht auf dem Talboden, wo die "Emmenschlange" ewig drohte. Aber die Schotterterrassen, die luden zum Siedeln ein; da war Sonne, fette Erde und frisches Quellwasser die Fülle.
Da begann der Alemanne zu roden und baute sich seine Blockhütten. So entstanden die Terrassendörfer Rüderswil, Lauperswil, Ranflüh und Lützelflüh. Als die Siedler auf den Terrassen keinen Platz mehr fanden, rodeten sie die Hänge hinauf und über Eggen hinaus. Hier entstanden die Einzelhöfe. Mit dem ausgehenden vierzehnten Jahrhundert durfte der Siedlungsprozess im Emmental als abgeschlossen gelten. Die Emmentaler standen von Anfang an unter alemannischem Recht. Mächtige Gaugrafen herrschten im Land, denen die alemannischen Bauern als Hörige oder Leibeigene Bodenzinse und Zehnten in Form von Geld, Getreide, Käse und Hühnern entrichteten.
Nach der Jahrhundertwende spielten die Herzöge von Zähringen als Landgrafen von Burgund eine dominierende Rolle. Als 1218 dieses stolze Geschlecht der Städtegründer (Burgdorf, Bern, Thun, Freiburg u.a. verdanken ihm ihre Entstehung, und die Burg Trachselwald diente vermutlich als Stützpunkt) mit Berchtold V. ausstarb, folgten die Grafen von Kyburg, später Neukyburg. Letztere empfingen 1314 das Landgrafenamt von Österreich zu Lehen. Dazu gehörte auch das Blutgericht in den Landgerichten, unter denen erstmals das Landgericht Ranflüh erwähnt wird, das sich über das ganze Emmental erstreckte, soweit es kyburgischer Besitz war und dessen Gerichtstätte und Galgen sich "ze Ranflen an dem Tann" befand. Oberhalb Burgdorf an der Emme aber sassen schon zur Zeit der Zähringer auf stolzer Burg die Edlen von Lützelflüh. Bereits 1125 wird ein "fry Thüring genempt, von dem sloss Lucelfluo" erwähnt, also frei und reichsunmittelbar, d.h. bloss dem Kaiser untertan. Das Herrschaftsgebiet dieses mächtigen Geschlechtes erstreckte sich über weite Teile des Emmentals.
Die Herren von Brandis und Bern (mehr Infos zur Burg Brandis finden sie hier)
Den Edlen von Lützelflüh folgten erbweise die Freiherren von Brandis. Was in ihre Hände gelangte, waren die Reste der alten Herrschaft derer von Lützelflüh: Im wesentlichen das Gebiet der heutigen Gemeinden Lützelflüh und Rüegsau, und ausserhalb dieser Marchen vermutlich als Streubesitz die Exklaven Lauterbach und Oberried, der Hasli- und Brandiswald sowie eine Anzahl Bauernhöfe. Später erwarben sie noch grossen Besitz im Oberland und in der Ostschweiz. Auch die Herren von Brandis waren frei und reichsunmittelbar, besassen die hohe Gerichtsbarkeit, d.h. sie richteten übers Blut. Die Richtstätte mit dem Galgen befand sich am Weg von Ramsei nach Waldhaus oben auf der Terrasse, am Ort, der heute noch im Volksmund "das Galgeli" geheissen wird. Unterdessen hatte sich die freie Reichsstadt Bern mächtig entwickelt und war militärisch und politisch weit über ihre Mauern hinaus zum bestimmenden Faktor geworden.
Die Macht des kyburgischen Adels samt seinen Vasallen dagegen ging weiter den Krebsgang. Es gab die Wahl zwischen dem aufstrebenden Bern und der drohenden Macht Österreich-Habsburg im Osten. Man wandte sich der Stadt zu und begab sich unter Berns Hut, das damit seinen Einfluss im Emmental entscheidend festigte. Nur die Freiherren von Brandis sassen wohlgemut auf ihrem Schloss und mehrten mit Klugheit und Weitsicht ihre Macht. Aber sie wussten die Zeichen der Zeit zu deuten und fanden es für richtig, sich mit Bern gut zu stellen. Deshalb schloss 1351 Junker Wolfhart von Brandis einen Burgrechtsvertrag zu beidseitigem Nutzen. Bern gewann damit einen neuen wichtigen Stützpunkt im Emmental. Aber die Reichsstadt förderte ihren Einfluss noch auf andere Weise. Sie gestattete jedem einfachen Landmann, Burger zu werden, ohne in der Stadt Wohnsitz zu nehmen.
"Stadtluft macht frei", hiess es allgemein. Damit genossen diese "Ausburger", wie sie genannt wurden, den Schutz der Reichsfeste, wofür sie eine besondere Steuer, die "Aussentell", entrichten und Heerbann leisten mussten. Jeder Ausburger bedeutete für die Stadt eine Stärkung, für den kyburgischen Grundherren aber eine Schwächung.
Als Bern im Burgdorfer Krieg von 1383 endgültig mit den Kyburgern abrechnete, leistete ihm Wolfhart IV. von Brandis getreue Schützenhilfe. Auch im Sempacher Krieg von 1386 lieh er den Bernern seine Unterstützung. Der Name der Herren von Brandis hatte weiterhin einen guten Klang. Unter ihnen gab es Fürstbischöfe von Konstanz und Chur, Domherren, Äbte und Komture. In der Folge zinsten die Lützelflüher noch manchen Herren, bevor sie endgültig Berner wurden. Unterdessen aber wurden die Freiherren von Brandis immer mehr durch ihre ostschweizerischen Besitzungen beansprucht und sahen sich bald gezwungen, ihren Besitz im Westen zu liquidieren. Nach wechselhaftem Schicksal wurde die total verschuldete Herrschaft dem Staate Bern um 17000 Sonnenkronen verkauft. Für die Lützelflüher änderte sich im Grunde wenig. Es hiess einfach "der Herr het verchouft, u mir sy jeze Bärner". (Das waren die Lützelflüher zwar im 15.Jh. schon einmal kurz gewesen, und sie waren nicht schlecht gefahren dabei. Bern gewährte den Eigenleuten von Brandis 1449 den Loskauf von der Leibeigenschaft.) Bern verfügte nun auch in der Herrschaft Brandis, die es zum "Amt Brandis" umwandelte und durch Vögte verwalten liess, über "Stock und Galgen", d.h. es richte hier über Tod und Leben. Sehr häufig scheint der Galgen auf dem "Galgeli" nicht im Gebrauch gewesen zu sein.
Im Bauernkrieg von 1653 scharten sich zahlreiche Lützelflüher um ihren Führer Niklaus Leuenberger, der in Wachtmeister Ulrich Kipfer zu Waldhaus einen zuverlässigen Mitstreiter hatte. Die Niederlage der Bauern zeitigte für die Gemeinde Folgen. Nicht nur, dass die Gnädigen Herren in Bern die Reiterei Oberst von Lerbers ins Emmental sandten, die Bauern zu züchtigen und übel zu hausen. Viel schwerer wog die Verurteilung der Bauernrebellen zu empfindlichen Strafen. Zunächst hatte die Gemeinde einen Gesamttribut von 1000 Kronen (ca. Fr. 100 000 h.W.) zu leisten; dann wurden Einzelstrafen verhängt; von 7,5 bis 1200 Kronen. Aus Bussgeldern soll der Pfarrhausanbau von 1655 mitfinanziert worden sein.
Noch grössere Opfer verlangte die Franzosenzeit von der Gemeinde. 1798 marschierten die Lützelflüher mit dem Regiment Burgdorf unter dem tapferen Aidemajor Dürig und fochten am 5. März auf dem Tafelfeld bei Fraubrunnen ruhmvoll, schliesslich erst der Übermacht Schauenburgs weichend. Eine unvollständige Liste nennt an gefallenen Lützelflühern: Peter Gammeter, Christian Lüthi, Jakob Stalder, Peter Burkhalter, Jakob Wälti und Jakob Leu; mehrere kehrten blessiert heim, andere gerieten in Gefangenschaft. Lützelflüh litt schwer unter den Kontributionen und Kriegssteuern, welche die Franzosenherrschaft brachte. Es waren die Geburtswehen einer neuen Zeit, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verhiess. Auch in Lützelflüh wurde der Freiheitsbaum aufgepflanzt. Aber die richtige Volksherrschaft brachten erst die dreissiger Jahre.
Der deutsch-französische Krieg 1870/71 rief auch die Lützelflüher an die Grenze. Das Ergebnis dieser Jahre war die Internierung von ca. 250 Mann von Bourbakis französischer Ostarmee, die im Februar und März 1871 in unserer Kirche Obdach, Zehrung und Pflege erfuhren. Drei kehrten nicht mehr heim: Babouti Jean, Branger Pierre und Prudhomme François; sie wurden auf unserem Friedhof beigesetzt. Ein einfacher Gedenkstein auf der Südseite der Kirche erinnert an sie.
1914–1918 und 1939–1945 durfte auch unsere Gemeinde die Gnade der Bewahrung erfahren. Wohl brachten die endlosen Grenzdienste, die wirtschaftliche und finanzielle Not viel Sorgen in manche Familien. Aber das Bewusstsein, vor einem Krieg, der totale Zerstörung kannte, verschont zu werden, und eine straffe und segensreiche Organisation (Plan Wahlen!) halfen über alle Engpässe hinweg. Lützelflüh erholte sich rasch von den Einschränkungen der Kriegswirtschaft und darf heute als wirtschaftlich und sozial wohlgeordnetes, blühendes Gemeindewesen gelten.
Text von Max Frutiger
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